Biografie

Der berühmte Elfenbeinkünstler des Art Deco wurde 1892 als eines von sechs Kindern in Erbach im Odenwald geboren. Der Vater Karl Daniel Heinrich Preiss führte dort ein Hotel, seine Mutter Katharina, geb. Reichert stammte aus einer Elfenbeinschnitzerfamilie. Ferdinand Preiss war fünfzehn Jahre alt, als beide Elternteile kurz nacheinander verstarben. Der Junge wurde von der Familie seiner Tante mütterlicherseits aufgenommen, die mit dem Erbacher Elfenbeinschnitzers Philip Willmann (1846-1910) verheiratet war. Unter der Ägide von Willmann begann Preiss mit seiner Ausbildung und fertigte kleine Elfenbeinfiguren nach antiken griechischen und römischen Vorbildern an. Ab 1901 machte sich Preiss auf den Weg, seine Fertigkeiten in anderen Orten und Institutionen zu vertiefen. An der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin arbeitete er mit Michael Kern zusammen. Es folgte eine Reise nach Italien, wo er in Mailand für die Firma Ghini tätig wurde sowie ein Aufenthalt in Paris.

1905 trat Ferdinand Preiss in die Firma Karl Haebler in Baden-Baden ein. Dort lernte er Arthur Kassler kennen, mit dem er 1907 in die Berlin die Firma 'Preiss & Kassler, Geschäft für Elfenbeinkunst mit Werkstatt’ gründete. Kassler kümmerte sich um die Finanzen, Preiss übernahm die künstlerische Leitung. Das Ziel war, sich von der Konkurrenz durch künstlerische Entwürfe und eine bessere Qualität abzuheben. Mit der Spezialisierung auf chryselephantine Figuren wurden Preiss & Kassler bekannt. Über Robert Kionsek knüpften sie Beziehungen zur Bronzegießerei Gladenbeck.

Die ersten Figuren, die aus der Werkstatt hervorgingen, zeigten griechische Göttinnen. Unterbrochen wurde der Aufstieg der Firma durch den Ersten Weltkrieg, in dem Ferdinand Preiss seinen Dienst als Sanitäter absolvierte. In Polen und Russland fertigte er Landschaftszeichnungen an, die als Postkarten gedruckt wurden, und gerade von den Soldaten gerne an der Ostfront gekauft und nach Hause verschickt wurden. Diese aus der Not geborene Geschäftsidee sicherte seiner Frau Margaretha, geborene Hilme und seinen Kindern Harry und Lucie während der Kriegsjahre ein Auskommen.

1919 wurde das Geschäft für Elfenbeinfiguren wieder eröffnet. In den ersten Jahren nach dem Krieg konzentrierte sich die Firma auf kleinere Schmuckstücke aus Elfenbein wie Broschen und Anhänger. Die goldenen Zwanziger wirkten sich hingegen äußerst positiv auf den Erfolg der Firma aus. In den Fokus rückten wieder Skulpturen. Die Inspiration lieferten nun nicht länger antike Modelle, sondern die moderne Frau. Besonderen Anklang fanden die chryselephantinen Figuren auf dem amerikanischen Markt. Ihre Familiennamen schrieben die beiden Firmengründer daher von nun an mit ‚ss‘, nicht mehr ‚ß‘. Um hohe Ausfuhrzölle für Elfenbein zu umgehen, eröffneten sie eine Werkstatt in England. Außerdem vermarktete Arthur Kasslers Sohn Hans das facettenreiche Skulpturen-Sortiment höchst erfolgreich auf Messen. Der wichtigste Handelsplatz war die Mustermesse in Leipzig (Teilnahme 1929 - 1941). Hier wurden Order von Vertretern aus der ganzen Welt gesammelt.

Im Jahr 1931 zog die Firma in die Berliner Ritterstraße, wo viele Kaufhäuser ansässig waren. Preiss und Kassler signierten ihre Werke mit den Initialen P und K in einem Kreis. Stets bedacht auf technische Verbesserungen, erweiterte Preiss die herkömmlichen Werkzeuge mit einem Zahnarztbohrer, der mehr Umdrehungen schaffte und noch feinere Effekte erzielte. Die Bronzearbeiten wurden extern, meist in der Berliner Gießerei Gladenbeck ausgeführt (bis 1936). Die Nachbearbeitung der Güsse erforderte doppelt wo viel Zeit wie der Guss selbst. Besondere Expertise erforderte vor allem die Zusammensetzung der Elfenbein- und Bronzepartien auf den Sockeln.

Preiss präsentierte die Figuren in Kaufhäusern wie Wertheim und Hertie, sie wurden aber auch in Brasilien und Argentinien vertrieben. Der wichtigste Markt war ab 1920 Großbritannien. Für britischen Kunden entstanden die Modelle ‚Queen Elizabeth II als Prinzessin‘, ‚der heilige Georg und der Drache‘ sowie Tänzerinnen in eleganten und extravaganten Posen.

In den goldenen Zwanziger Jahren wirkten diverse Einflüsse auf Ferdinand Preiss, allen voran das reiche kulturelle Leben von Berlin und das bunte Nachtleben mit seinen Tanzrevues, aber auch Bilder aus internationalen Magazinen. Die Atmosphäre in Berlin war überaus freizügig, die Stadt war der Place to be, wenn es um das nächtliche Vergnügen ging mit 400 Plätzen in der Oper, 11.000 in den Theatern und noch einmal 45.000 in Varietés und Cabarets wie Alberto Shayo in seinem Buch über Ferdinand Preiss recherchiert hat.

Körperkult und Sport spielten in den 1920er Jahren ebenfalls eine immer größere Rolle. So waren die Skulpturen aus der Olympia-Serie in den 1930er Jahren besonders beliebt. Auch Kinofilme lieferten zündende Ideen für Preiss künstlerische Entwürfe. Die ‚Carmen’-Figur schuf Ferdinand Preiss wohl unter dem Eindruck des 1918 erschienen Film von Ernst Lubitsch. Alberto Shayo ist in einer umfassenden Publikation über Ferdinand Preiss, erschienen 2005, auch der Frage nachgegangen, wie der Künstler sich in der Zeit des Nationalsozialismus verhielt. 1938 erbrachte er den erforderlichen ‚Ahnenpass’. Er war kein Parteimitglied und auch kein Sympathisant. Während des Krieges blieb das Geschäft geöffnet, das Exportgeschäft kam jedoch zum Erliegen. 1940 wurde das Gießen von Bronze untersagt. Am 29. Juli 1943 verstarb Ferdinand Preiss.