Biografie
Wenn man sich über die Biographie von Tobia Scarpa und sein Werk informieren möchte, kommt man an zwei weiteren Persönlichkeiten nicht vorbei. Zum einen an seinem berühmten Vater Carlo Scarpa, der in seinem Haus zahlreiche Freundschaften zu den bekanntesten Designern des 20. Jahrhunderts pflegte und das Interesse seines 1935 geborenen Sohnes für Architektur und Design weckte. Zum anderen an seiner Ehefrau Afra, mit der er seit den Studienjahren an der Universität von Venedig zusammenarbeitete und bis heute zahlreiche Möbel und architektonische Projekte realisierte.
Im Alter von 22 Jahren entwarf Tobia Scarpa seine ersten Arbeiten. Im Auftrag von Venini schuf er die Vasen-Serien 'Occhi' und 'Battuti' sowie einige Leuchten, die 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel gezeigt wurden. Dabei orientierte er sich an Modellen seines Vaters aus den dreißiger und vierziger Jahren, den er nicht als Konkurrenz, sondern als Vorbild betrachtete. In den achtziger Jahren schuf er die Vasenserie 'I Molati' mit eingeschlossenem Blattgold, eine Variation auf die 'Battuti' und 1990 die dickwandigen, türkis ausgeschlagenen Glasobjekte 'Moretta' für VeArt.
Karriere machte Tobia Scarpa jedoch nicht als Glasdesigner, sondern als Möbeldesigner und Architekt. Mit Vorliebe experimentierte er mit neuen Materialien. Die Leuchte 'Fantasma' für Flos, die noch heute produziert wird, besteht aus einem Stoff aus elastischem Fischergarn, der über eine Metallstruktur gespannt wird. Zu seinen bekanntesten Arbeiten als Designer zählt das Sofa 'Bastiano', das er 1961 für Gavina entwarf. Im Gegensatz zu zeitgleich entstandenen Modellen lässt es sich in Einzelteile zerlegen und entspricht damit den veränderten gesellschaftlichen Konventionen der sechziger Jahre. Gefragt waren Möbel, die man handlich verpackt mit nach Hause nehmen und leicht aufbauen konnte. Ebenso reflektieren die Sessel 'Ciprea', 'Soriana' und 'Carlotta' für die Firma Cassina den legeren Lebensstil der jungen Generation. In der Folgezeit arbeiteten Afra und Tobia Scarpa für alle großen Möbelhersteller wie B&B Italia, Knoll International und Stildomus.
In Venedig und der Provinz Veneto projektierten sie zahlreiche Privathäuser und realisierten Restaurierungen an historischen Gebäuden. Zu den architektonischen Großaufträgen gehören Firmensitz, Produktionsstätten und Ladengeschäfte der Modefirma Benetton, für deren gesamtes industrielles Erscheinungsbild sie bis heute zuständig sind. Das Konzept der Shops, die auf der ganzen Welt eingerichtet wurden, ist auf ein junges Publikum zugeschnitten. Die schlichte Einrichtung mit zahlreichen Ablagen baut Schwellenängste ab und bietet viel Platz, um die Ware auszustellen.
Tobia Scarpa hält nicht viel von komplizierten Theorien über Architektur und Design. Er und seine Frau Afra legen beim Entwurfsprozess großen Wert auf handwerkliche Aspekte und Traditionen. Ihr Ziel formulierte Tobia Scarpa in einem kurzen Aufsatz 2006 über den Beruf des Architekten: „Den Menschen von morgen, dieselben Gefühle zu vermitteln, die wir haben, wenn wir uns der Anstrengung und der Fertigkeiten Gewahr werden, mit denen die Werke der Vergangenheit realisiert wurden.“