Biografie
Venedig-Reisenden mit einer Vorliebe für die Kunst des Jugendstils hätte man 1914 das Hotel Terminus empfohlen, denn dort konnte man im Speisesaal den prachtvollen Gemäldezyklus ‚Tausend und eine Nacht‘ des 1878 in Murano geborenen Vittorio Zecchin bewundern. Die Malereien gehören zu den Hauptwerken des italienischen Stile Liberty. Heute hängen die Bilder, allerdings nicht ganz vollständig, im Museo Internazionale d'Arte Moderna. Vittorio Zecchin, Sohn eines Glasbläsers, studierte Malerei, bevor er Karriere in der Glasbranche machte. Schon während seiner Ausbildung an der Kunstakademie in Venedig langweilte ihn der Salonstil seiner Lehrer. Er orientierte sich lieber an Vorbildern aus Mitteleuropa. Zuerst interessierten ihn die symbolistischen Werke des aus Java stammenden Jan Toorop. Dann begeisterte sich Vittorio Zecchin wie viele andere für die Werke von Gustav Klimt, die 1910 auf der Biennale von Venedig ausgestellt wurden. Von dem Österreicher übernahm Zecchin viele Themen und ikonografische Motive, aber auch die Linearität und den üppigen Figurenschmuck. Gemeinsam mit dem Künstler Teodoro Wolf Ferrari, den er im Umkreis der Künstler der Ca' Pesaro kennengelernt hatte, stellte Vittorio Zecchin seine ersten Glasbilder und Vasen mit Murrine-Dekor, ausgeführt von der Firma Artisti Barovier, 1913 im Salon Windhager in München aus. Ein Jahr später zeigte das Künstlerduo neue Glaswerke, die von der Malerei der Sezession beeinflusst waren, auf der Biennale von Venedig. Darunter war auch das Glasbild Barbaro, das heute im Museo Vetrario in Murano zu sehen ist. In den Kriegsjahren konzentrierte sich Vittorio Zecchin, der aufgrund seiner Gehbehinderung nicht zum Militärdienst eingezogen wurde, auf die Entwürfe von Wandteppichen und Stoffen, die er in einer eigens dafür eingerichteten Werkstatt produzieren ließ. Auf der ersten Ausstellung nach dem Krieg 1919 in der Ca' Pesaro zeigte er aber nicht nur die in den Kriegsjahren entstandenen Stoffe, sondern auch eine Serie von bemalten Gläsern, deren Ornamente und Figuren an die stilisierte Motivwelt der Wiener Sezession erinnern.
Im Jahr 1921 übernahm Vittorio Zecchin die künstlerische Leitung der neu gegründeten Glasmanufaktur Vetri Soffiati Muranesi Cappellin Venini & C. Im Gegensatz zu seinen bisherigen Entwürfen verzichtete er für seinen neuen Auftraggeber auf Dekorationen mit Murrine und auch auf nachträglich aufgebrachte Malereien mit Emaille. Zecchin schuf nun dünnwandig ausgeblasene Gläser in schlichten Formen und Farben. Dabei ließ er sich von den Gemälden der Maler Tintoretto, Holbein und Veronese aus dem 16. Jahrhundert inspirieren, auf denen er die Gefäße der Vergangenheit studierte. Die Kritiker zeigten sich begeistert, als seine Werke auf einer Überblicksschau gezeigt wurden. Francesco Sapori bemerkte voller Begeisterung: „Er nimmt die vergessenen Traditionen wieder auf ... er bewahrt das reine Wesen des Glases, die elementaren Farben, ohne exzentrische Ansprüche, um alles wohltönend, einfach und schön zu machen.“ Als sich Paolo Venini und Giacomo Cappellin trennten, folgte Vittorio Zechin dem Mailänder Antiquitätenhändler und wurde künstlerischer Leiter der neuen Firma M.V.M. Cappellin & C., deren Gläser zur besseren Unterscheidung von den Venini-Produkten mit der geätzten Signatur „MVM Cappellin Murano" versehen wurden. Bereits nach einem Jahr verließ Zecchin die Firma Cappellin wieder und arbeitete als freier Mitarbeiter für diverse Glashersteller: 1932 realisierte die Firma A.VE.M. seine Entwürfe für die Biennale von Venedig. In Zusammenarbeit mit der Firma Studio Ars Labor Industrie Riunite, bekannt unter S.A.L.I.R. schuf er Soffiati mit eingravierten Dekoren von Franz Pelzel. Bei der 1933 gegründeten Firma Vetreria e Soffieria Barovier Seguso & Ferro übernahm Zecchin für kurze Zeit die künstlerische Leitung, bevor er sich schließlich als Entwerfer zurückzog, da er sich mit dem vorherrschenden, von den Faschisten bevorzugten Stile Novecento nicht anfreunden konnte.